Die Schrift

Übersetzung des Alten Testaments von Martin Buber
und Franz Rosenzweig von 1929

Bibelübersetzung

2 Samuel 19

[1] Der König erbebte, er stieg hinauf auf den Aufbau des Tors, er weinte, und so sprach er im Gehn: Mein Sohn Abschalom! mein Sohn! mein Sohn Abschalom! wer gäbs, daß ich selber statt deiner gestorben wäre, Abschalom, mein Sohn, mein Sohn! [2] Als man Joab meldete: Da weint der König und trauert um Abschalom!, [3] wurde die Siegbefreiung an jenem Tag all dem Volk zur Trauer, denn das Volk hörte an jenem Tag sprechen: Der König grämt sich um seinen Sohn! [4] So stahl das Kriegsvolk an jenem Tag beim Kommen sich in die Stadt, wie sich Volk hineinstiehlt, die sich in ihrem Fliehen im Kampf schimpflich zeigten. [5] Der König aber hatte sein Antlitz verhüllt, mit lauter Stimme schrie der König: Mein Sohn Abschalom, Abschalom, mein Sohn, mein Sohn! [6] Joab kam zum König ins Haus, er sprach: Du beschämst heuttags das Antlitz all deiner Diener, die heuttags deine Seele entrinnen ließen, die Seele deiner Söhne und deiner Töchter, die Seele deiner Weiber und die Seele deiner Kebsen, [7] indem du liebst, die dich hassen, indem du hassest, die dich lieben! Deutlich ja machst dus heuttags: ja, Obre und Dienstleute sind dir nichts! ich weiß ja seit heut: ja, lebte nur Abschalom und wir alle wären heut tot, ja, dann wärs in deinen Augen recht! [8] Jetzt also mach dich auf, tritt heraus, rede zum Herzen deiner Diener! Denn ich habe mich bei IHM verschworen: wird, wenn du nicht heraustrittst, auch nur ein Mann noch die Nacht mit dir nächtigen, ...! Übler würde dir das als alles Übel, das von deiner Jugend bis jetzt über dich kam! [9] Der König machte sich auf, er setzte sich ins Tor. Und allem Volk bedeutete man, sprechend: Da, im Tor sitzt der König! Alles Volk kam vor das Antlitz des Königs. Als Jissrael geflohn war, jedermann nach seinen Zelten, [10] geschahs, daß in allen Stäben Jissraels alles Volk einander verurteilte, sprechend: Gerettet hat uns aus der Faust unsres Feindes der König, entrinnen ließ uns er aus der Faust der Philister, und jetzt hat er vor Abschaloms Aufstand aus dem Land entweichen müssen! [11] gestorben im Kampf ist, den wir über uns gesalbt haben, Abschalom: jetzt also - warum haltet ihr euch still, statt den König zurückzubringen?! [12] Auch der König Dawid selber sandte zu Zadok und zu Ebjatar den Priestern, zu sprechen: Redet zu den Ältesten Jehudas, sprecht: Warum wollt ihr hintan sein, den König in sein Haus zurückzubringen - gekommen war nämlich zum König hin jene Rede alles Jissrael in sein Haus - , [13] ihr seid meine Brüder, seid mein Bein und mein Fleisch, warum wollt ihr hintan sein, den König zurückzubringen?! [14] Und zu Amassa sprecht: Bist du nicht mein Bein und mein Fleisch? so tue mir Gott, so füge er hinzu: wirst du nicht Heeresoberster vor mir statt Joabs alle Tage! [15] Damit neigte er das Herz aller Mannschaft Jehudas wie eines einzigen Manns, sie sandten zum König: Kehre zurück, du und all deine Diener! [16] Der König kehrte zurück, er kam bis an den Jordan. Indes war Jehuda nach Gilgal zusammengekommen, dem König entgegenzugehn, den König über den Jordan zu führen. [17] Schimi Sohn Geras aber, der Binjaminit, der von Bachurim, eilte - er war nämlich der Mannschaft Jehudas gesellt hinabgezogen, dem König Dawid entgegen, [18] ihm gesellt tausend Mann von Binjamin - , und Ziba, der Altknappe des Hauses Schauls, seine fünfzehn Söhne und seine zwanzig Dienstknechte mit ihm, die wateten durch den Jordan vorm Antlitz des Königs [19] und führten die Fähre hinüber, um das Haus des Königs herüberzufahren und was seinen Augen gutdünkte zu tun. Schimi Sohn Geras fiel, als er über den Jordan war, vors Antlitz des Königs nieder, [20] er sprach zum König: Nimmer rechne mein Herr mir Verfehlung zu, gedenke nimmer, wie dein Diener sich verfehlte am Tag, als mein Herr König aus Jerusalem fortwanderte, daß der König es sich ans Herz legen sollte! [21] dein Diener weiß ja: ja, ich habe gesündigt! da bin ich also heuttags als erster von allem Haus Jossef gekommen, meinem Herrn König entgegen herunterzuziehn. [22] Abischaj Sohn der Zruja entgegnete, er sprach: Soll Schimi nicht getötet werden dafür, daß er SEINEN Gesalbten gelästert hat?! [23] Dawid aber sprach: Was ist mir und euch gemein, Zrujasöhne?! heute denn wollt ihr mir zum Hinderer werden? heute sollte jemand getötet werden in Jissrael? weiß ich denn nicht, daß ich erst heute König über Jissrael bin?! [24] Der König sprach zu Schimi: Du sollst nicht getötet werden! Der König beschwor es ihm. [25] Heruntergezogen, dem König entgegen, war auch Mefiboschet, Schauls Enkelsohn. Er hatte seine Füße nicht zurechtgemacht, hatte seinen Lippenbart nicht zurechtgemacht, und seine Gewänder hatte er nicht gewaschen vom Tag, da der König fortging, bis zum Tag, an dem er in Frieden wiederkam. [26] Es geschah, als er von Jerusalem dem König entgegenkam, daß der König zu ihm sprach: Warum bist du nicht mit mir gegangen, Mefiboschet? [27] Er sprach: Mein Herr König, betrogen hat mich mein Diener! denn dein Diener hatte gesprochen: Ich will mir doch den Esel satteln lassen, daß ich darauf reite, mit dem König will ich gehn! denn dein Diener hinkt. [28] Der da aber hat deinen Diener bei meinem Herrn König verleumdet! Aber einem Boten Gottes gleich ist mein Herr König, so tue, was deinen Augen gutdünkt! [29] denn nichts war alles Haus meines Vaters für meinen Herrn König als Männer des Todes, du aber hast deinen Diener unter die gesetzt, die an deinem Tisch essen! was hätte ich nun noch für ein Anrecht? etwa noch, zum König zu schreien?! [30] Der König sprach zu ihm: Wozu redest du noch weiter deine Rede? ich spreche: du und Ziba, ihr teilet das Feldergut. [31] Mefiboschet sprach zum König: Mag er auch alles nehmen, nachdem mein Herr König in Frieden zu seinem Hause kam! [32] Mitherabgezogen war Barsillaj der Giladit aus Roglim, er fuhr mit dem König über den Jordan, doch nur um ihn die Jordanstrecke zu geleiten. [33] Sehr alt nämlich war Barsillaj, ein Achtzigjähriger, er hatte den König versorgt, als er in Machanajim saß, denn er war ein großmächtiger Mann. [34] Nun sprach der König zu Barsillaj: Du fahre mit mir hinüber, ich will dich bei mir in Jerusalem versorgen. [35] Barsillaj sprach zum König: Wie viele wohl sind die Tage der Jahre meines Lebens, daß ich mit dem König hinauf nach Jerusalem sollte?! [36] ich hier bin heuttags ein Achtzigjähriger, weiß ich Bescheid zwischen Gutem und Üblem? oder schmeckt dein Diener, was ich esse, was ich trinke? oder horche ich noch auf die Stimme der Sänger und der Sängerinnen? wozu soll dein Diener meinem Herrn König noch zur Last sein! [37] Nur eben über den Jordan wird dein Diener mit dem König fahren, wozu aber sollte der König mit diesem Lohne mir lohnen? [38] Dürfte doch dein Diener heimkehren, daß ich sterbe in meiner Stadt, beim Grab meines Vaters und meiner Mutter! Aber da ist dein Diener Kimham, er möge meinem Herrn König beigesellt hinüberfahren, tu ihm, was deinen Augen gutdünkt. [39] Der König sprach: Mit mir soll Kimham hinüberfahren, das deinen Augen Gutdünkende will ich ihm tun, und dir will ich alles tun, was du mir aufzuerlegen wählst. [40] Alles Volk war über den Jordan gefahren, nun fuhr hinüber der König. Der König küßte Barsillaj, er segnete ihn, und der kehrte an seinen Ort zurück, [41] der König aber fuhr weiter nach Gilgal, und Kimham fuhr mit ihm. Herübergeführt hatte den König alles Volk Jehudas und vom Volk Jissraels auch eine Hälfte. [42] Da nun kamen die zum König, alle Mannschaft Jissraels, sie sprachen zum König: Weshalb haben dich unsre Brüder, die Mannschaft Jehudas gestohlen, daß sie den König und sein Haus über den Jordan führen durften, sind doch alle Männer Dawids sein Volk! [43] Aber alle Mannschaft Jehudas antwortete wider die Mannschaft Jissraels: Der König ist mir ja blutsnah! und: Warum nur entflammts dich um diese Sache? haben wir vom König gefressen, was weggefressen? oder wolln wirs forttragen, hinwegtragen für uns? [44] Aber die Mannschaft Jissraels antwortete der Mannschaft Jehudas, sie sprach: Zehn Hände halten mir an jedem König, und auch bei Dawid bin ich dir voraus! weshalb also achtest du mich so gering? und: War nicht meine Rede, meine, die erste, meinen König zurückzubringen?! Dann wurde wieder die Rede der Mannschaft Jehudas härter als die Rede der Mannschaft Jissraels.