Die Schrift

Übersetzung des Alten Testaments von Martin Buber
und Franz Rosenzweig von 1929

Bibelübersetzung

Hiob 15

[1] Elifas der Temaniter entgegnete, er sprach: [2] »Darf ein Weiser windiges Wissen entgegnen, seinen Bauch mit Ostwind füllen, [3] mit Gerede erweisend, das nicht frommt, Worten, womit er nicht nützt? [4] Du gar, du zerbröckelst die Fürchtigkeit, verknappst das Sinnen vor Gott. [5] Denn dein Fehl übt deinen Mund ein, und die Zunge der Schlauen erwählst du. [6] Schuldigen soll dein Mund dich, nicht ich, deine Lippen wider dich entgegnen. [7] Wardst du als der erste der Menschen geboren, vor den Hügeln hervorgebracht? [8] Hast du im Ratskreis Gottes gehorcht, von der Weisheit für dich abgeknappt? [9] Was weißt du, was wir nicht wüßten, merktest du, was nicht bei uns wäre? [10] Auch ein Ergrauter ist unter uns, auch ein Greis, an Tagen vermöglicher als dein Vater! [11] Hast du an den Tröstungen des Gottherrn zu wenig, ist die Rede zu leise für dich? [12] Was reißt dein Herz dich um, was rollen deine Augen, [13] daß du dein Schnauben gegen Gott kehrst und deinem Mund lässest Worte entfahren! [14] Was ist das Menschlein, daß es als rein gelten könnte, und daß sich bewahrheitete der vom Weibe Geborne? [15] Wohl, Er vertraut seinen Heiligen nicht, der Himmel ist in seinen Augen nicht rein, [16] nun gar der Abscheuliche, Angefaulte, der Mann, der wie Wasser das Falsch trinkt! [17] Ich wills dir ansagen, höre mir zu, das, was ich schaute, erzähle ich, [18] welches Weise vermeldeten und verhehltens nicht, von ihren Vätern her, [19] denen allein das Land ward gegeben, nicht ging ein Unzugehöriger ihnen inmitten: [20] Alle Tage des Schuldigen windet er sich, - die Zahl der Jahre über, die aufbewahrt sind dem Wütrich, [21] ist die Stimme der Schrecknisse in seinen Ohren, im Frieden werde ihn der Vergewaltiger überkommen, [22] Er vertraut nicht, aus der Finsternis heimkehren zu können, er, der ausersehn ist für das Schwert, [23] er schweift umher, um zu kämpfen - wo?; er weiß, daß zur Hand ihm ein Finsternistag bereit ist, [24] die Drangsal ängstet ihn, ihn greift die Bangnis an, einem König gleich, der zum Sturme sich anschickt. [25] Denn gegen den Gottherrn streckte er seine Hand, gegen den Gewaltigen überhob er sich, [26] steifhalsig rannte er gegen ihn an mit der Dichtheit seiner Schildbuckel; [27] denn mit seinem Fett deckte er sich das Antlitz, setzte Schmeer an die Lende; [28] Wohnung nahm er in ausgetilgten Städten, Häusern, nicht mehr besiedelt, deren Geschick war, Trümmer zu werden. [29] Er bleibt nicht reich, seine Habe besteht nicht, nicht mehr neigt sich solcher Sichel zur Erde, [30] nicht entgeht er der Finsternis, seinen Schößling dörrt die Glut, vom Anblasen Seines Mundes vergeht er. [31] Nimmer traue er dem Wahnbild, er ist geirrt, denn Wahn wird sein Eintausch sein: [32] noch ist sein Tag nicht, und schon erfüllt sichs, sein Wedel grünt nicht mehr, [33] er stößt rebstockgleich seinen Herbling ab, wirft ölbaumgleich ab seine Blüte. [34] Denn die Rotte der Entarteten ist versteint, Feuer frißt die Zelte der Bestechung, [35] man geht schwanger mit Harm und gebiert Arg. Ihr Bauch bereitet den Selbstbetrug.«