Die Schrift

Übersetzung des Alten Testaments von Martin Buber
und Franz Rosenzweig von 1929

Bibelübersetzung

Klagelieder 5

[1] Gedenke, DU, was an uns geschah, blicke her und sieh unsre Schmach! [2] Unser Eigen drehte sich Ausheimischen zu, unsre Häuser Fremden. [3] Waisen wurden wir, Vaterlose, Witwen gleich unsre Mütter. [4] Unser Wasser, wir trinkens um Geld, unser Holz, um Entgelt kommts uns ein. [5] Dicht am Nacken werden wir verfolgt, ermatten wir, wird uns nicht Ruh. [6] Hatten wir Ägypten die Hand ergeben, Assyrien, Brots zu ersatten, [7] haben unsre Väter gesündigt, sie sind nicht mehr, wir tragen, wir, ihre Fehle. [8] Knechte walten über uns, da ist keiner, der ihrer Hand uns entrisse. [9] Wir setzen unsre Seele dran, daß unser Brot wir bekommen, vor dem Schwert in der Wüste, [10] unsre Haut, wie ein Ofen erglüht sie vor den Fieberqualen des Hungers. [11] Frauen haben sie in Zion gebeugt, Maiden in den Städten Jehudas, [12] von ihrer Hand wurden Obre gehenkt, Älteste wurden verunehrt, [13] Jünglinge müssen zur Mühle tragen, Knaben straucheln unter der Holzlast. [14] Die Alten feiern von der Torberatung, die Jünglinge von ihrem Saitenspiel. [15] Feiern muß unsres Herzens Ergötzen, zu Trauer wandelte sich unser Reigen. [16] Gefallen ist die Krone unsres Haupts, - wehe, ach, über uns, daß wir sündigten! [17] Ward darob siech unser Herz, verfinstert sind uns die Augen über dieses: [18] über den Zionsberg, daß er verstarrt ist, - Füchse ergehn sich darauf. [19] DU, in Weltzeit wolltest du sitzen auf deinem Thron, Geschlecht um Geschlecht, - [20] warum vergissest du uns in die Dauer, verlässest uns für die Länge der Tage? [21] Umkehren mache, DU, uns zu dir, daß wir heimkehren können, erneue unsre Tage wie ureinst! [22] Denn verwürfest, verwürfest du uns, du grolltest uns allzusehr.