Die Schrift

Übersetzung des Alten Testaments von Martin Buber
und Franz Rosenzweig von 1929

Bibelübersetzung

Prediger 6

[1] Ein Übel west, das ich sah unter der Sonne, und viel ist dessen über den Menschen: [2] ein Mann, dem Gott Reichtum, Rüstzeug und Ehre gibt, und keins mangelt seiner Seele von allem, was er mag begehren, aber nicht läßt Gott ihn walten, davon zu genießen, denn ein fremder Mann, genießen darf er es. Dies ist ein Dunst, und ein übles Leiden ist das. [3] Würde ein Mann hundert zeugen und viele Jahre leben, wie viel auch der Tage seiner Jahre wären, und nicht sättigte sich seine Seele am Guten, ich spräche: »Ob die auch ein Begräbnis nicht fand, die Fehlgeburt ist besser dran als er.« [4] Denn kam im Dunst sie und geht in Finsternis sie und in Finsternis bleibt ihr Name gehüllt, [5] auch die Sonne sah sie nicht und kannte sie nicht: eher bei diesem als bei diesem ist die Ruh, [6] und ob er zweimal tausend Jahre lebte und hat das Gute nicht besehn. Wandelt zu Einem Orte nicht alles hin ? - [7] »Alles Mühn des Menschen, für seinen Mund ists, doch ist die Seelengier niemals gefüllt.« [8] Was wäre denn des Weisen Rang vor dem Toren, was des Elenden, der doch dem Leben zugegen zu wandeln weiß! - [9] Besser ist Sicht der Augen als Anwandlung der Seele, - auch dies ist Dunst und ein Trachten nach Wind. [10] Was je ward, vorlängst war ausgerufen sein Name, und man weiß, daß er, der Mensch, Adam, Der vom Ackerboden ist und vermag nicht zu rechten mit Ihm, der stärker als er ist. [11] Ja denn, es west der Reden mehr, die den Dunst mehren, - welch einen Gewinn hat der Mensch? [12] Denn wer weiß, was für den Menschen gut ist im Leben, die Zahl der Tage seines Dunstlebens hindurch, die er vertut schattengleich? Nämlich: wer meldets dem Menschen, was nach ihm sein wird unter der Sonne?