Die Schrift

Übersetzung des Alten Testaments von Martin Buber
und Franz Rosenzweig von 1929

Bibelübersetzung

Psalm 102

[1] Gebet eines Gebeugten, wenn er verzagt und schüttet seine Klage vor IHN. [2] DU, höre mein Gebet, mein Stöhnen komme zu dir! [3] Versteck vor mir nimmer dein Antlitz! am Tag, da ich bedrängt bin, neige mir dein Ohr, am Tag, da ich rufe, eilends antworte mir! [4] Denn in Rauch gehn auf meine Tage, meine Gebeine verglimmen wie Herdglut. [5] Geschlagen ist wie Kraut, verdorrend mein Herz. Ja, mein Brot vergesse ich zu essen [6] vor dem Laut meines Ächzens, an meinem Fleisch klebt mein Gebein. [7] Ich ähnle der Dohle der Wildnis, bin wie der Kauz der Trümmer geworden, [8] ich durchwache und heule wie ein Vogel, ein vereinsamter, auf dem Dach. [9] All den Tag höhnen mich meine Feinde, die mich beschwatzen, schwören bei mir. [10] Ja, ich esse Asche wie Brot, würze meinen Trank mit dem Weinen, [11] vor deinem Dräun, deinem Groll, denn du hobst mich und warfest mich hin. [12] Meine Tage sind, wie wenn der Schatten sich neigt, und ich, wie ein Kraut dorre ich ab. [13] Du aber, DU, thronst in Weltzeit, dein Gedenken ist für Geschlecht um Geschlecht. [14] Selber wirst aufstehen du, wirst dich Zions erbarmen, denn die Stunde ists, ihm Gunst zu erzeigen, denn gekommen ist die Frist [15] - denn deine Knechte haben an seinen Steinen Gefallen, günstig sind sie seinem Staub - , [16] daß DEINEN Namen die Weltstämme fürchten, alle Erdenkönige deine Ehre: [17] »Ja, erbaut hat ER Zion, läßt in seinem Ehrenscheine sich sehn, [18] hat sich gewandt zum Gebet des Entblößten, nicht mißachtet hat er ihr Gebet.« [19] Geschrieben wird es für spätes Geschlecht, neuerschaffnes Volk wird oh Ihn preisen, [20] daß von seiner Heiligkeit Höhe er lugte, blickte, ER, vom Himmel zur Erde, [21] des Gefesselten Ächzen zu hören, loszumachen die Kinder der Sterblichkeit, [22] damit sie auf Zion SEINEN Namen erzählen, seine Preisung in Jerusalem, [23] wann die Völker mitsammen ziehen zuhauf, die Königreiche, IHM zu dienen. [24] Gebeugt hat man auf dem Weg meine Kraft, verkürzt hat man meine Tage. [25] Ich spreche: Mein Gott, nimmer heiße hinwegsteigen mich in der Hälfte meiner Tage, du, dessen Jahre sind ins Geschlecht der Geschlechter! [26] Vormals hast du die Erde gegründet, Himmel sind ein Werk deiner Hände, [27] die werden schwinden und du, du wirst bestehn, wie ein Gewand werden allsamt sie zerfasern, du wechselst sie wie ein Kleid und sie wechseln, [28] du aber bist derselbe und deine Jahre enden nie: [29] mögen Wohnung haben die Kinder deiner Knechte, vor deinem Antlitz aufrecht bleiben ihr Same!