Die Schrift

Übersetzung des Alten Testaments von Martin Buber
und Franz Rosenzweig von 1929

Bibelübersetzung

Psalm 22

[1] Des Chormeisters, nach »Hindin Morgenröte«, ein Harfenlied Dawids. [2] Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Fern bleiben meiner Befreiung die Worte meines Notschreis. [3] »Meine Gottheit!« rufe ich tags und du antwortest nicht, nachts, und nicht wird mir Stillung. [4] O Heiliger du, auf Jissraels Preisungen thronend, [5] an dir wußten unsre Väter sich sicher, sicher, und du ließest sie entrinnen, [6] zu dir schrien sie und durften entschlüpfen, an dir gesichert wurden nie sie beschämt. [7] Ich aber, Wurm und nicht Mensch, Hohn der Leute, verachtet vom Volk, - [8] die mich sehn, spotten mein alle, verziehn die Lippe, schütteln den Kopf: [9] »Wälz es auf IHN!« - »Der läßt ihn entrinnen, rettet ihn, denn er hat an ihm Lust!« [10] Ja, du bists, der aus dem Leib mich hervorbrechen ließ, mich sicherte an der Brust meiner Mutter. [11] Auf dich bin ich vom Schoß an geworfen, vom Leib meiner Mutter her bist du mein Gott. [12] Nimmer bleibe mir fern, nah ja ist die Bedrängnis, da ist ja kein Helfer! [13] Umringt haben mich viele Farren, Baschans Stierrecken mich umschränkt. [14] Ihr Maul sperren sie wider mich auf, eine Löwenschar, reißend und schreiend. [15] Ich bin hingeschüttet wie Wasser, trennen wollen sich all meine Knochen, mein Herz ist worden wie Wachs, in meinen Eingeweiden zerflossen, [16] meine Kraft ist dürr wie ein Scherben, an meinen Schlund geklebt meine Zunge. Du rückst mich in den Staub des Todes! [17] Hunde haben mich ja umringt, umkreist mich eine Rotte von Bösgesinnten, sie fesseln mir Hände und Füße, [18] zählen kann ich all meine Knochen. Jene blicken herzu, sie besehn mich, [19] sie teilen unter sich meine Kleider, über mein Gewand lassen sie fallen das Los. [20] Oh DU, nimmer bleibe fern! du mein Wesensstand, zu meiner Hilfe eile! [21] Rette meine Seele vorm Schwert, meine Einzige vor der Tatze des Hundes, [22] befreie mich aus dem Maul des Löwen, - wider Wisenthörner gibst du mir Antwort! [23] Ich will von deinem Namen meinen Brüdern erzählen, inmitten der Versammlung will ich dich preisen: [24] »Ihr IHN Fürchtenden, preiset ihn, aller Same Jaakobs, ehret ihn, erschauert vor ihm, aller Same Jissraels! [25] Denn er hat nicht mißachtet, hat nicht verschmäht die Gebeugtheit des Gebeugten, hat sein Antlitz vor ihm nicht versteckt, hat gehört, wenn er zu ihm gestöhnt hat.« [26] Von dir her ist mein Preisen in großer Versammlung. - Meine Gelübde will ich bezahlen den ihn Fürchtenden zugegen. [27] Essen sollen die sich Hinbeugenden und sie sollen ersatten, preisen sollen IHN, die nach ihm fragen! Aufleben soll euch auf ewig das Herz! - [28] Bedenken werdens und werden umkehren zu DIR alle Ränder der Erde, vor dir sich bücken aller Stämmewelt Sippen. - [29] Denn SEIN ist die Königschaft, er waltet der Weltstämme. [30] Gegessen haben sie nun - und haben sich gebückt - alle Markigkeiten der Erde, sie knien vor ihm, die in den Staub waren gesunken, wer seine Seele nicht halten konnte am Leben. [31] Der Same darf ihm nun dienen, erzählt wird von meinem Herrn dem Geschlecht, [32] die kommen, die melden seine Bewährung dem nachgeborenen Volk: daß ers getan hat.